Samsung stellt den Prototyp eines flexiblen Displays vor. Die Südkoreaner wollen damit den schwächelnden Handy-Markt revolutionieren.
Beim Smartphone der Zukunft soll endlich zusammenfinden, was zusammengehört: Mit einer Handbewegung verwandelt sich das Telefon in einen Tablet-Computer.
Dazu faltet der Besitzer nur das geknickte, flexible Display auf. Die Software-Ansicht springt ohne Ruckeln übergangslos in den Vollbildmodus. Der Nutzer blättert in Artikeln, vergrößert Ausschnitte digitaler Karten oder zoomt in die Szenen eines Videospiels.
Marktführer Samsung präsentierte auf seiner Entwicklerkonferenz in San Francisco erstmals den Prototyp eines faltbaren Displays – und ist von der globalen Durchschlagskraft des Geräts überzeugt: „Wir stehen vor einer neuen Ära von Innovationen und Erfindungen“, schwärmte DJ Koh, Präsident und Chef von Samsung Electronics, der Handysparte.
Der Konzern aus Südkorea, der jedes fünfte weltweit verkaufte Smartphone fertigt, steht unter Druck. Wie Apple kämpft er seit Jahren gegen das Ende des Booms und neue Rivalen aus Fernost. Die chinesischen Hersteller Huawei und Xiaomi erobern wachsende Anteile im Handy-Markt und locken mit niedrigen Preisen. Das Innovativste an Apples Bestseller iPhone ist seit Jahren sein steigender Preis.
Branchenkenner sehen in dem flexiblen Display die Möglichkeit für Samsung, sich von den eintönigen Geräten der Konkurrenz abzusetzen. Das faltbare Telefon könne „mehr sein als ein Gimmick“, urteilt der Gartner-Analyst Werner Goertz.
Doch die Erfolgsaussichten seien schwer abzusehen. „Wenn es sich um ein schlankes, attraktiv designtes Gerät handelt, wird es ein Magnet für Gadgetfans“, meint Ben Wood, Analyst beim britischen Marktforscher CCS Insight. „Wenn es klobig und schwer zu benutzen ist, wird es sich kaum verkaufen.“
Klar ist nach der Präsentation, dass das „Infinity Flex Display“ zwei Geräte in einem enthält: ein 4,58 Zoll-Smartphone und ein 7,3 Zoll großes Tablet. Bis zu drei Apps haben auf dem großen Bildschirm gleichzeitig Platz. Dennoch: Zahlreiche technische Details des Knick-Handys blieben zunächst unklar.
Die Massenproduktion starte aber „in den kommenden Monaten“, lässt Samsung wissen. Das Gerät sei ab nächstem Jahr erhältlich. Wann genau, unter welchem Namen oder zu welchem Preis stehe indes noch nicht fest.
Der Prototyp des neuen Geräts soll die Konkurrenz, die Kunden mit niedrigeren Preisen lockt, auf Abstand halten. „Samsung ist nach wie vor klarer Marktführer im Smartphone-Geschäft“, analysiert Thomas Husson von Forrester.
Doch die Rivalen rücken auf. Im dritten Quartal erreichten die Südkoreaner laut der Datenfirma IDC 20,3 Prozent an den weltweiten Handy-Verkäufen, gefolgt vom Huawei-Konzern mit 14,6 Prozent, dessen Smartphone-Verkäufe zuletzt um 32 Prozent stiegen.
Apple, das nur noch auf einen Anteil von 13,2 Prozent kommt, wurde von den Chinesen schon als zweitgrößter Smartphone-Anbieter abgelöst. Nun sei Huawei „auf dem besten Weg, Samsung von Platz eins zu stoßen”, sagt Werner Goertz, Research-Director von Gartner.
Samsung hatte ein flexibles Display mehrfach angekündigt. Doch nach wie vor seien viele Fragen offen – vor allem: Wollen die Kunden überhaupt ein faltbares Telefon, wenn sie dafür mehr bezahlen müssen?
„Die Antwort liegt in der Software, besonders in den Anwendungen von Künstlicher Intelligenz“, sagt Goertz. Entscheidend sei, dass Samsungs Programmierer-Community attraktive Apps auf das Knick-Display bringt. „Die Technologie muss wirkliche Vorteile für das tägliche Leben des Nutzers eröffnen“, urteilt auch Husson von Forrester.
Doch mit der Entwicklung eines eigenen mobilen Betriebssystems tat sich Samsung stets schwer. Auf den Mobilgeräten läuft deshalb traditionell die Google-Plattform Android. Google will das neue Format ebenfalls unterstützen.
Die Android-Entwickler müssten ihre Programme nicht von Grund auf neu für das faltbare Smartphone schreiben, sondern können die Apps mit wenigen Änderungen im Programmiercode anpassen, sagt Adrian Roos, Senior Entwickler bei Google. Wie das in der Praxis funktioniert, muss sich aber noch zeigen.
Samsung kämpft wie die Konkurrenz gegen rapide sinkende Absätze. Laut Strategy Analytics fielen die globalen Smartphone-Verkäufe insgesamt bis Ende September um acht Prozent. Das ist im vierten Quartal in Folge ein Rückgang.
Doch die Südkoreaner verlieren dabei über dem Branchendurchschnitt. Laut der US-Datenfirmen IDC und Strategy Analytics sanken Samsungs Handy-Verkäufe vergangenes Quartal um 13 Prozent, nach einem Rückgang von zehn Prozent im zweiten und zwei Prozent im ersten Quartal.
Der Trend lässt sich schwer umkehren. Die Smartphone-Nachfrage in den lukrativsten Märkten USA und Europa gilt als gesättigt. Für 2019 sagt ICD nur noch ein Wachstum von drei Prozent bei den globalen Handyverkäufen voraus. Apple entschied erst vorige Woche, die Wall Street über die Absatzzahlen der iPhones, iPads und Macs künftig im Dunkeln zu lassen, aus Angst vor negativen News. Samsung veröffentlicht entsprechende Daten ebenfalls nicht mehr.
Nach wie vor verdienen die Unternehmen zwar prächtig im Mobilgeschäft. Apple, das zwei Drittel der Konzerneinkünfte aus den iPhone-Verkäufen erzielt, erreichte Anfang August als erstes Unternehmen der Wirtschaftsgeschichte den Börsenwert von einer Billon Dollar.
Noch nie verlangte der Konzern so viel pro Gerät wie heute. Im vierten Quartal kletterte der Preis pro iPhone von 724 auf 793 Dollar, weit mehr als im vergleichbaren Vorjahresquartal – als es 618 Dollar waren.
Doch die Innovationssprünge von Gerät zu Gerät werden immer marginaler und sind für einfache Kunden kaum mehr sichtbar: Die Bildschirme vergrößern sich etwas, die Prozessoren werden schneller, die OLED-Bildschirme heller. Hinzu kommen Anwendungen wie Gesichtserkennung. Doch der Boom gewöhnlicher Smartphones ist vorbei.
Das nächste neue Ding?
Die Branche wartet auf das nächste neue Ding. Wird Samsungs faltbares Gerät den Markt umkrempeln? Noch sind die Informationen über das Premiumprodukt allenfalls spärlich. Für wenige Augenblicke zeigt Samsung-Manager Justin Denison das faltbare Telefon auf einer abgedunkelten Bühne, umschlossen von einer Tarnhülle. Er klappt es kurz auf, bevor er es wieder in der Einstecktasche des Anzugs verschwinden lässt.
Statt wichtiger Kennzahlen präsentiert Samsung vor allem Versprechen. Demnach solle das faltbare Smartphone keinesfalls dicker ausfallen als Vorgängermodelle. Das Material für das mehrschichtige Display sei zu 45 Prozent dünner als die bisher eingesetzte Technologie und stehe Hunderttausende Knicks durch.
Brancheninsider wie Gartner-Experte Goertz hält das knickbare Display durch die Polymerstruktur für „beweglich und robust zur gleichen Zeit, ohne Brüche oder Verformungen zu riskieren“.
Wie schnell das neue Samsung-Gerät auf den Markt kommt, könnte für den Erfolg entscheidend sein. Die Südkoreaner sind längst nicht die Einzigen, die ein flexibles Display entwickeln. Auch Huawei will Medienberichten zufolge kommendes Jahr ein flexibles Smartphone zeigen.
Lenovo und Xiaomi bringen eigene Prototypen ins Gespräch, und LG arbeitet an einem flexiblen OLED-Display und Fernseher, der sich einrollen lässt. Das chinesische Start-up Royole zeigte in San Francisco nur einen Tag vor Samsung ein knickbares Display mit einem 7,8 Zoll-Bildschirm.
So beeilt sich Samsung, Fakten zu schaffen. Ebenso wichtig wie die Hardware wollen die Südkoreaner künftig die zugehörige Software nehmen. Nach dem Vorbild von Apple schraubt der Hersteller an einem Ökosystem für Services. Eine große Rolle dabei soll Bixby spielen, Samsungs Plattform für intelligente Sprachsteuerung und Künstliche Intelligenz (KI).
Bixby werde in jedes der 500 Millionen Geräte einziehen, die Samsung jährlich verkauft, kündigt Samsungs KI-Managerin Eui Suk Chung an – von den neuen faltbaren Smartphones bis zu den vernetzten Kühlschränken.