Nach einigen Tagen mit dem Mate 20 X kann ich guten Gewissens sagen: Wer mit einem 7,2 Zoll-Monster zurecht kommt, kann mit dem Mate 20 X vielleicht die interessanteste der drei Mate 20-Versionen erstehen, die Vor- und Nachteile des Riesen-Handys zeigen sich durchaus schon nach wenigen Tagen.
Als ich das Mate 20 X auf meiner aktuellen Reise durch Südostasien zuerst in Thailand und später in Malaysien entdeckte, ging ich noch davon aus, dass Huawei es in Europa nicht anbieten wird - seit heute wissen wir, dass es nun doch breiter in den Verkauf gelangen und neben China, Thailand und Malaysien auch in Deutschland und Österreich angeboten wird, um 899 Euro offiziellem Verkaufspreis, also preislich in etwa zwischen Mate 20 und Mate 20 Pro.
Ich muss sagen, dass ich mich nach den ersten Begegnungen mit dem 7,2 Zoll Riesen etwas in das noch rare Phablet verliebt habe - an meinem letzten Tag in Kuala Lumpur wurde es dann gekauft, zumal der Deal (umgerechnet 675 Euro) noch mit Gratis M-Pen und Flip-Case versüßt wurde, meines Wissens nach nur in Malaysien. Nachdem ich nun einige Tage mit dem Mate 20 X statt meines davor eingesetzten Mate 9 unterwegs bin, kann ich durchaus Vergleiche ziehen und ein wenig aus dem Nähkästchen plaudern - so ein Riesenphone sieht man ja nicht alle Tage.
Bedienung und Split-View-Modus am Riesendisplay
Das Mate 20 X ist auf jeden Fall groß und schwer. Mit 232 Gramm wiegt es deutlich mehr als die 190 Gramm des Mate 20 Pro beziehungsweise Mate 9 und das spürt man auch. Im Bett liegend wird der Arm bei längerer Benutzung schon etwas müde und die Einhandbedienung wird durch das knapp 13 Millimeter breitere und etwa 18 mm höhere Gehäuse als beim Mate 20 Pro für die meisten Hände wohl nicht mehr möglich sein. Mit den anderen Mates gemein hat das Mate 20 X das dünne Kinn, das zwar gut aussieht aber in der Praxis doch öfter mal dazu führt, dass man auf der Softwaretastatur einhändig nicht mehr ganz so bequem tippen kann. Im Großen und Ganzen fühlt sich die Benutzung eines 7,2 Zoll-Displays aber gar nicht soviel anders an als bei den kleineren Displays und man gewöhnt sich erstaunlich rasch an die verfügbare Fläche.
Selbst wenn man in den Displayeinstellungen Text- und Displaygröße auf das Minimum reduziert, bleiben Texte gut lesbar, was beispielsweise beim Mate 9 nicht immer der Fall war. Das Umschalten auf die Android Pie-Gestensteuerung in EMUI vergrößert zudem die Displayfläche um die ansonsten eingeblendete Navigationsleiste an der Unterseite. In der Praxis ist das Mate 20 X mit moderner Gestensteuerung nach kurzer Eingewöhnungsphase sehr intuitiv und bequem steuerbar, einzig der Aufruf des Google Assistant, der standardmäßig beim Hochschieben von der linken oder rechten Seite aufpoppt, stört auf Dauer, das kann man aber zum Glück abstellen. Erstmals macht für mich am Mate 20 X auch das parallele Arbeiten mit zwei Apps im Split-View-Modus Sinn, beispielsweise das Ansehen eines Videos und das parallele Surfen im Internet. Hierfür ist die große Displayfläche tatsächlich praktisch nutzbar.
Das Alleinstellungsmerkmal: Stiftbedienung mit M-Pen
Das Mate 20 X basiert wie seine Brüder auf dem modernen 7 nm-Kirin 980-SoC der hier aber mit einer Vapor-Chamber-Kühlung "gamertauglich" gemacht wurde, ein passendes Gamepad wird Huawei optional anbieten. Ebenfalls optional gibt es den Huawei M-Pen, eine klare Anlehnung an Samsungs S-Pen, allerdings ohne dessen Bluetooth-Features oder Quick-Ladefunktion mittels Kondensator im Gerät selbst. Stattdessen wird der Huawei M-Pen, der übrigens nicht der gleiche ist wie bei den Tablets und auch nur am Mate 20 X funktioniert, via USB-C aufgeladen, eine kleine LED gibt Auskunft über den Ladestand. Etwas weniger durchdacht ist auch die Tatsache, dass sich der Stift nicht im Handy selbst einschieben und transportieren lässt, er hält auch nicht magnetisch wie bei den neuen iPad Pros von Apple - letztlich ist die Stiftunterstützung also noch etwas ausbaufähig.
Unterstützt wird natürlich die reguläre Bedienung des Mate 20 X mittels M-Pen, beispielsweise auch Gesten wie das Erstellen eines Screenshots oder das Teilen des Displays in den Split-View-Modus, beides geht aber ohne Stift auch durch die bekannten Knöchelgesten von EMUI. Wer gern handschriftliche Notizen erstellt, kann das mit dem Stift natürlich tun, auch direkt am ausgeschalteten Gerät - in dem Fall wird sofort eine Notiz geöffnet, wenn man das Display mit dem Stift berührt und gleichzeitig den Button am M-Pen drückt. Mit 4.096 Druckstufen und austauschbaren Stiften (zwei zusätzliche liegen bereits bei) entspricht das Ergebnis in etwa dem der Konkurrenz, die Latenz geht durchaus in Ordnung, auch wenn es beim schnellen Zeichnen manchmal ein wenig "laggt".
Unterschiede zwischen den Modellen
Kommen wir kurz den Unterschieden im Vergleich zu Mate 20 und Mate 20 Pro: Das im Mate 20 X integrierte OLED-Display hat keine seitlich abgerundeten Kanten sondern ist flach und bietet zudem nur 2.244 x 1.080 Pixel also deutlich weniger als das Mate 20 Pro. Dennoch sieht das Ergebnis gut aus, eine Pixelstruktur kann man im Alltag nicht erkennen, letztlich wird der Test Auskunft über die faktischen Qualitäten des hier integrierten 7,2 Zoll Panels geben. Sowohl die in Malaysien als auch die für Europa geplanten Modelle bieten 6 GB RAM und 128 GB Speicher, eine Erweiterung über die proprietären Nano-SD-Karten ist im doppelseitigen Dual-SIM-Slot möglich.
Wie das reguläre Mate 20 hat das Mate 20 X an der Oberseite noch einen Kopfhöreranschluss, der zudem richtig gut klingt, übrigens auch die beiden Stereolautsprecher, die an der Ober- und Unterseite des Mate 20 X für einen sehr lauten, klaren und sogar vollen Sound sorgen - im Gegensatz zum Mate 20 Pro wird die Soundausgabe nicht über den USB-C-Port nach außen geführt, auch der Ohrhörer wird nicht als Lautsprecher missbraucht - die Größe des Glasgehäuses, das übrigens im Gegensatz zum Mate 20 Pro nicht nach IP-Norm wasserdicht aber dennoch rückseitig rutschfest geriffelt ist, hat also soundtechnisch seine Vorteile. Beim LTE-Modem unterscheiden sich die Mate 20-Varianten alle nicht, hier gibt es das volle Spektrum aller weltweit wichtigen LTE-Bänder.
Einen weiteren Vorteil bringt die schiere Größe mit sich: Ein 5.000 mAh Akku sorgt hier für unendlich wirkende Laufzeiten - in der letzten Woche war am Ende eines langen Tages mit oftmaliger Benutzung praktisch immer mehr als 50 bis 60 Prozent Akkustrom übrig, bei normaler Nutzung im Alltag dürften zwei bis drei Tage ohne Nachladen absolut drin sein. Huawei spendiert dem Mate 20 X zudem die Pro-Variante seiner Triple-Cam, die mit 16 mm Ultraweitwinkel-Optik, 40 Megapixel Standard-Kamera und 80 mm Teleobjektiv im Alltag unglaublich vielseitig nutzbar ist - Details dazu kann man unserem Test des Mate 20 Pro entnehmen, das hier über die exakt gleichen Features und Specs verfügt. Das reguläre Mate 20 hat ja leider nur eine etwas abgespeckte Triple-Cam mit geringerem Brennweitenbereich.
Einschränkungen gegenüber dem Mate 20 Pro gibt es beim Mate 20 X natürlich - hier ist insbesondere das Fehlen des direkt unter dem Display integrierten Fingerabdrucksensors an der Front sowie die reguläre 2D-Gesichtserkennung statt der deutlich sichereren 3D-Variante zu nennen. Im Gegenzug erhält man, wie beim Mate 20, das deutlich attraktiver wirkende Waterdrop-Notch-Design. In der Praxis funktionieren sowohl die Gesichtserkennung als auch der Fingerabdrucksensor an der Rückseite problemlos und schnell - erstere hat in der Dämmerung allerdings oft Schwierigkeiten bei der Erkennung, es hilft also wenn man beide biometrischen Entsperrvarianten einrichtet. Das Hochheben des Phablets entsperrt es dann optional auch gleich - fast wie beim iPhone.
Ein paar Bilder der Triple-Cam
Hier als kleines Update noch ein paar Bilder die ich in den letzten Tagen mit der Triple-Cam geschossen habe. Insbesondere die Ultraweitwinkel-Linse bietet meiner Meinung nach einen deutlichen Mehrwert, weil man damit eine sehr ungewöhnliche Perspektive liefern kann, ich habe sie bisher eigentlich primär benutzt. Sie hat allerdings auch einen kleinen Nachteil und zwar wenn man sie zusammen mit dem Nachtmodus benutzt - hier wirken die Farben etwas unnatürlicher als mit der Hauptkamera. Möglicherweise kann das aber durch ein Softwareupdate noch behoben werden. Die Bilder wurden nicht bearbeitet und nur in der Größe reduziert, zudem wurde nur der Automatik-Modus, der Aperture-Mode oder der Nachtmodus benutzt.
Die Beste aller Mate 20-Varianten?
Zum Ausklang seien noch zwei Features erwähnt, die dem Mate 20 Pro vorbehalten sind: Sowohl Wireless Charging als auch die 40 Watt Super Charge-Geschwindigkeit bietet das Mate 20 X nicht, hier wird mit nur 22 Watt geladen, immer noch vergleichsweise schnell, zumal man das beim Riesenakku ohnehin nicht so oft tun muss. Die Frage, ob das Mate 20 X nun das Beste der beiden anderen Modelle in sich vereint, muss jeder letztlich für sich selbst beantworten. Wer eine Alternative zum Galaxy Note 9 von Samsung sucht, wird wohl ohnehin das Mate 20 X von Huawei in Betracht ziehen, alle anderen müssen prinzipiell mit einem Riesenhandy zurecht kommen.
Die schiere Größe bedingt, dass zierliche Hände und kleine Hosentaschen außen vor bleiben - wer damit kein Problem hat und weder 3D-Gesichtserkennung noch den Fingerabdrucksensor im Display benötigt, wird mit dem Mate 20 X vielleicht glücklicher als mit dem Pro-Modell. Persönlich stört mich insbesondere das seitlich abgerundete "Edge-Display" des Mate 20 Pro und der fehlende Kopfhöreranschluss - ich wollte aber nicht auf die vielseitigere Kamera verzichten, weswegen sich die "Max-Variante" naturgemäß anbot. Das Riesendisplay empfinde ich mittlerweile als kleinen Tablet-Ersatz im Alltag, beispielsweise im Flieger auf meinen Reisen, der gute Sound ersetzt zudem gern mal die Lautsprecher am Notebook - mit dem größeren Gehäuse und der Ausbeulung in der Hosentasche kann ich mich gerade noch abfinden. Richtig schwer wirkt das Mate 20 X höchstens im Bett oder wenn man es allzu zulange in einer Hand hält, aber "Digital Wellbeing" ist ohnehin gerade en vogue - das Handy weglegen, wenn die Hände müden werden, ist vielleicht gar nicht mal so schlecht.
Updates
18.11. Kleinere Ergänzungen und Fehlerbehebungen
19.11. Fotostrecke integriert mit Bildern der Triple-Cam